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Stellungnahme des BDK zur geplanten MSS-Reform

25.6.2010

Reform der MSS/ Schulfach Bildende Kunst

Sehr geehrte Frau Ministerin,

als in Rheinland-Pfalz berufener Professor für Kunstwissenschaft und Kunstdidaktik verstehe ich meine Aufgabe auch darin, die Entwicklung des Faches Bildende Kunst in der Schule zu beobachten. In Verantwortung für das Fach und seine Bildungsinhalte bitte ich um Verständnis, wenn ich mit Blick auf die anstehende Reform der Mainzer Studienstufe mich direkt an Sie wende und anrege, die geplanten Maßnahmen noch einmal zu überdenken.

Die vorgesehene Reform der MSS in Rheinland-Pfalz birgt in der jetzigen Fassung die große Gefahr, den künstlerischen Bildungsbereich, den die KMK als wesentliche Aufgabe der Schule neben dem mathematisch-naturwissenschaftlichen und dem sprachlich Bereich als Möglichkeiten individueller Schwerpunktsetzung ausweist, zur randstelligen Bedeutungslosigkeit zu degradieren. Wenn wir den Anspruch haben, aus der leidvollen deutschen Geschichte gelernt zu haben, dann gehört es zu den notwendigen Aufgaben der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen, die Schülerinnen und Schüler nicht einseitig zu verwertbarem, funktionalen Humankapital zu drillen, sondern ihnen eine allgemeine Persönlichkeitsbildung zu ermöglichen. Kritisches Denken, humanistische Norm- und Wertorientierung, Eigenverantwortlichkeit und offenes kreatives Denken und Handeln gehören dazu, wie die Chance, eigene vorhandene Begabungen und Interessen entdecken und fördern zu können. Wir wissen, dass in unserer Zeit – im Kontext rückläufiger Erziehungsverantwortung des Elternhauses und wachsender Dominanz rein ökonomisch orientierter Massenmedien – die öffentlich-rechtliche Schule hier ganz besonders gefordert und verantwortlich ist. Umfassende, grundlegende Allgemeinbildung als Basis eines selbstbestimmten Lebens in der demokratischen Gesellschaft muss auch den Bereich einbinden, den die Kulturgeschichte der Menschheit seit ihren Anfängen ausweist: den künstlerischen Bereich.

Ohne Gleichstellung der künstlerischen Fächer mit den anderen Fächern als Prüfungsfach im Abitur wird das Fach Bildende Kunst im engen, leistungsorientierten System des Schulalltags seinen Bildungsauftrag kaum erfüllen können.

Das wird sicher Auswirkungen auf das breite Spektrum der künstlerischen Berufe haben. Gravierender aber ist, dass Bildkompetenz – rezeptiv wie produktiv – zunehmend im Allgemeinen an Bedeutung gewinnt – mit wachsender Tendenz. Ein kompetenter Umgang mit Bildern ist in unserer Gesellschaft grundlegend nötig, gibt es doch inzwischen keinen Bereich mehr, der ohne Bilder auskommt. Wie – die Kunstpädagogik seit langem sekundierend – Hirnforschung und die an Bedeutung wachsende allgemeine Bildwissenschaft seit dem sog. „iconic turn“ immer wieder betonen, muss das Verständnis visueller Ausdrucksformen erlernt werden, ist der Erwerb kritischer Bildkompetenz zwingend nötig, hat doch die technische Entwicklung dazu geführt, dass Bilder heute praktisch allgegenwärtig sind und als Kommunikations- und Erkenntnismittel die bisherige Dominanz der Sprache ablösen. Jetzt gerade das Fach, dessen Gegenstand das Bild ist, aus dem Kanon der wählbaren vier Prüfungsfächer zu nehmen, scheint geradezu absurd und kontraproduktiv.

Wenn heute Kompetenzen gefordert sind, so betreffen sie den Menschen in seinen Möglichkeiten umfassend. Es kann nicht allein um eine technokratische Bildung gehen. Anders als der von der Wirtschaft (OECD) initiierte rein funktional ausgerichtete PISA-Test suggeriert, muss verantwortungsvolle Bildungspolitik nicht nur ökonomische, sondern vor allem menschliche Interessen im Blick haben. Kompetenzförderung darf nicht devote Anpassung und funktionierende Verwertbarkeit im Wirtschaftssystem anstreben, sondern muss neben der natürlich nötigen funktionalen Förderung auch der Persönlichkeitsbildung dienen, einer allgemeinen Bildung, die es ermöglicht, das Leben sinnvoll und selbstbestimmt zu gestalten. Der Bereich der Kunst gehört zwingend dazu.

Sehr geehrte Frau Ministerin, es erscheint dringend nötig, das vorgelegte Reformkonzept zu überdenken. Die Regelung, dass die künstlerischen Fächer nur als 5. (freiwilliges) Prüfungsfach erhalten bleiben, ist nicht ausreichend – denn im Schulalltag wird das zu einer deutlichen Abwertung führen. Und die Bildungsbereiche der künstlerischen Fächer sind eben nicht das unbedeutende dekorative Zuckerstückchen auf dem angeblich eigentlich Wichtigen; sie sind nicht Ausgleich, Kontemplation und freizeitlich-orientiertes Spielvergnügen, sondern – mehr denn je – notwendige (Lern)Erfahrung für eine aktive Teilhabe an unserer Kultur und Gesellschaft.

Der Vorschlag des BDK, den künstlerischen Bereich neben dem sprachlichen als gemeinsames sprachlich-künstlerisches Profil entsprechend der Aufgabenfelder der KMK zu definierenund damit – wie die anderen Fächer auch – als 4. Prüfungsfach zuzulassen, findet meine volle Unterstützung. Ich bin der festen Ansicht, dass die allgemeinbildende Schule (und damit auch das Gymnasium) die Möglichkeit der individuellen Profilbildung anbieten muss. Sollten die künstlerischen Fächer tatsächlich aus dem Prüfungskanon des Abiturs verschwinden bzw. in die Freiwilligkeit abgeschoben werden, so hat das hinsichtlich Stellenwert und Reputation für die ganze Schulzeit schwerwiegende Auswirkungen. Einseitigkeit und Einschränkungen aber müssen vermieden werden.

Das Problem wäre leicht zu lösen: den Schülerinnen und Schülern muss die Möglichkeit gegeben werden, im (gleichberechtigten) sprachlich-künstlerischen Prüfungsprofil anstelle einer Fremdsprache oder Deutsch auch in einem künstlerischen Fach geprüft werden zu können. Zudem ist gerade in den künstlerischen Fächern auch die Förderung sprachlicher Kompetenz (im Reden über Bilder, im Analysieren, im Argumentieren) eingebunden – umfasst aber - was die Einheit von Theorie und Praxis, was sinnliche Erfahrung, was ästhetisches Erleben und wachsames Urteilsvermögen betrifft und vor allem in der eigenen künstlerisch-ästhetischen Praxis die so wichtige Erfahrung eigenen schöpferischen Vermögens - wesentlich mehr. Ein Mehr, das erst den Menschen vom funktionalen Roboter unterscheidet!

Im Vertrauen darauf, dass in einem inhaltlich so wichtigen Prozess Argumente gehört und auch berücksichtigt werden, bitte ich darum, vor Beschlussfassung die Reform zu überdenken und zu modifizieren.

Hochachtungsvoll,

Dietrich Grünewald

UNIVERSITÄT  KOBLENZ . LANDAU
Fachbereich 2: Philologie/Kulturwissenschaft
INSTITUT FÜR KUNSTWISSENSCHAFT
Prof. Dr. Dietrich Grünewald

 


Lesenswertes zum Thema:
Brief an die Ministerin - eine Stellungsnahme von Prof.Dr.Grünewald, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Stellungnahme von Astrid Reitz (2.Vorsitzende, BDK Rheinland-Pfalz)

Der vollständige Beitrag ist im "BDK-Brief 2010-03" auf Seite 3 erschienen.