Geschichts- und politikmächtige Bilder
14. – 16. Mai 2012, Ingelheim, Fridtjof-Nansen-Haus
Eine Zusammenfassung der Beiträge der 31. Kunsterziehertagung in Ingelheim von Dr. Ulrich Kuballa
Gibt es Kunstwerke, die schon in ihrer Zeit oder im historischen Rückblick die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse einer Epoche wie komprimiert zur Anschauung bringen? Oder solche, die rückwirkend unser Urteil über die politische oder gesellschaftliche Geschichte geformt haben? Oder gibt es Kunstwerke, die gesellschaftliche und politische Prozesse in ihrer Zeit oder nachwirkend mitgestaltet haben? Diese und ähnliche Fragestellungen bildeten den roten Faden für die Vorträge der diesjährigen Weiterbildungsveranstaltung des BDK, Fachverband für Kunstpädagogik (14. - 16. Mai 2012). Wie in den vergangenen Jahren erfolgte diese Weiterbildung in Zusammenarbeit mit der Fridtjof-Nansen-Akademie für politische Bildung in Ingelheim. Die in der Einführung von Prof. Peter Schubert aufgebrachten Leitfragen wurden in den Vorträgen der Tagung an verschiedenen Beispielen und auf ganz unterschiedliche Weise behandelt. So ging es im ersten von zwei Beiträgen von Prof. Dr. Otto Karl Werckmeister (Berlin) mit dem Titel "Das Kunstwerk zwischen Arbeit und Besitz" um die Veränderung in der Bewertung handwerklicher Meisterschaft in der ästhetischen Wirkung von Kunstwerken seit dem ausgehenden Mittelalter bis hin zur Tendenz des "de-skilling", der Entwertung der qualifizierten künstlerischen Arbeit, ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dann zeigte er am Beispiel von Picassos "Guernica", wie der Wechsel der jeweiligen Eigentumsverhältnisse die politische Wirkung dieses Kunstwerks wesentlich beeinflussten, bis es schließlich quasi zum Symbol für den spanischen Freiheitskampf in der neuen parlamentarischen Monarchie nach Franco wurde. In unserer Zeit bedingten der Verlust einer nachvollziehbaren Bewertung von Kunst und das Horten von Kunst durch finanziell potente Sammler Marktprozesse, die sich zu einer internationalen Expertenkultur entwickelt haben. Hierdurch richtet sich der Marktwert von Kunstwerken nach "uneinsichtigen Maßstäben" aus. Durch die Abwertung von Arbeit und gleichzeitige Aufwertung von Besitz verliert das Kunstwerk seine Leitfunktion für die künstlerische Kultur der Demokratie, da eine größtmögliche Teilhabe durch die erwähnten Marktprozesse für die öffentliche Hand nur noch schwer realisierbar ist. An die Stelle des Kunstwerks tritt, so Werckmeister, die sogenannte Massenkunst, unterstützt durch die modenen Produktions- und Reproduktionsmittel. In seinem Vortrag "Kanonisierungen des Visuellen. Das Bild im Spannungsfeld von Politik, Geschichtskulturen und Ästhetik" ging Dr. Christoph Hamann (Landesinstitut für Schule und Medien BerlinBrandenburg) der Frage nach: Wie werden Bildmotive kanonisch? Dazu untersuchte er die Fotografie des Torhauses des Konzentrationslagers Birkenau von Stanislav Mucha (1945), das auch im Zusammenhang mit dem Holocaust in Schulbüchern Verwendung fand. Er legte dar, wie narrative Elemente eines Bildes und bildästhetische Elemente der Sinnerzeugung sowie der Kontext eines Bildes zu einer Interpretation führen, ggf., wie im besprochenen Beispiel dargelegt, sogar zu Fehldeutungen, denn die wie schicksalhaft auf das Lagertor hinführenden Gleise der Transportschienen auf der Fotografie führen nicht, wie der Kontext suggeriert und wie die entsprechenden Publikationen glauben machen, hinein in das Vernichtungslager; vielmehr ist die zur Ausfahrt führende Gleisanlage zu sehen, die sich im Torbereich auf ein ausfahrendes Gleis reduziert, und mehr zu zeigen war ursprünglich auch gar nicht in der Absicht des Fotografen, der lediglich in sowjetischem Auftrag die Anlage des KZ dokumentierte. Um eine ähnlich kanonische Wirkung ging es auch im zweiten Tagungsbeitrag von Prof. Werckmeister mit dem Titel: "Warum war Picassos Guernica ein politisches Bild?" Werckmeister stellte zunächst die Genese und Wandlung der Bildelemente in diesem Gemälde dar und verknüpfte dies mit einer Darstellung zur politischen Wirkungsgeschichte des Bildes, die an seine vorangegangenen Ausführungen vom Vortag anknüpfte und zu einer lebhaften Diskussion und Aussprache überleitete.
Auch der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Herfried Münkler (HumboldtUniversität Berlin) befasste sich in seinem Vortrag "Kriegsbilder und Schlachtengemälde des Ersten Weltkriegs" mit der Art und Weise, "Wie mit Bildern Politik gemacht wird", also wie Bilder - als Begleitstrang zur Narration – Sinn, und zwar politisch aussagekräftigen Sinn, stiften. Dies dokumentierte er anschaulich an propagandistischen Postkarten und Schlachtenbildern aus dem Ersten Weltkrieg. Auch Prof. Dr. Gregor Wedekind (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) beleuchtete in seinem Vortrag "Theodore Gericaults Floß der Medusa" die "Frage nach dem politischen Potential von Bildern". Nachdem er die historischen Verhältnisse um das Havarieren des französischen Truppentransporters "Medusa" vor der westafrikanischen Küste dargestellt hatte, zeigte er auf, wie exakt der Künstler Gericault vor und während der Arbeit an besagtem Bild die exakten Abläufe des Geschehens, Angaben zu Opfern und Überlebenden, Augenzeugenberichte und sogar den exakten Bauplan des Floßes recherchierte. Trotz dieser exakten Arbeit und einer langen, beeindruckenden künstlerischen Gestaltungsleistung blieb Gericault aber die Anerkennung seiner Zeitgenossen und der Kunstkritiker versagt. Dies war darin begründet, dass das Gemälde die überhöhenden Kategorien einer traditionellen Historiendarstellung verletzte, Schande zeigte statt Gloria, und dadurch eine gesellschaftliche Ausgrenzung erfuhr. In seinem Vortrag mit dem Titel "Bildpolitik des Sieges – Die Fahnenhissung auf Iwo Jima im Februar 1945 in der USErinnerungskultur" zeigte Prof. Dr. Jost Dülffer (Universität zu Köln), wie aus einem neben dem Kampfgeschehen angefertigten Schnappschuss eines Soldaten, der während der Erstürmung der Insel Iwo Jima durch USMarines Kameraden beim Aufrichten der USFlagge fotografierte, ein nationales Symbol für den Patriotismus und die Freiheitsliebe der Amerikaner konstruiert wurde. Auch der Fotograf und die abgebildeten Soldaten wurden in die propagandistische Nutzung dieser Momentaufnahme eingebunden - unter anderem bei Auftritten des damaligen US-Präsidenten, in einem patriotischen Film mit John Wayne und einer landesweiten Auftrittskampagne. Das Leben der "Helden von Iwo Jima" wurde indes durch diese Überhöhung aus der Bahn geworfen. Schließlich entstand aus der fotografischen Vorlage, gleichsam als "Ikone des Marinecorps", eine Großplastik neben dem Soldatenfriedhof in Arlington und, als zweite Version, das weltweit größtes Bronzedenkmal in Washington D.C. Der übergroße Symbolcharakter dieser Plastiken war dann Anlass für zahlreiche Nachahmungen, aber auch für kritische Bewertungen. So entstand die Paraphrase von Edward Kienholz, das "Portable War Memorial", in der Zeit des VietnamKrieges und erst spät der engagierte und kritische Film "Flags of Our Fathers" unter der Regie von Clint Eastwood aus dem Jahr 2006. Mit diesem weit gespannten Bogen über historische Zeiträume und Bedingungsfaktoren, unterschiedliche Genres und eine Vielzahl verschiedener Medien war diese Tagung erneut eine Bereicherung für historisch, politisch und/oder kunstwissenschaftlich interessierte Teilnehmer.
Geschichts- und politikmächtige Bilder 14. – 16. Mai 2012,