FRIDTJOF-NANSEN-AKADEMIE FÜR POLITISCHE BILDUNG INGELHEIM
im Weiterbildungszentrum Ingelheim
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Fotos Grillparzer |
Fortbildung des BDK vom 26.-28.05.2003 im WBZ Fridtjof-Nansen-Haus
"Das nahgerückte Fremde"
Eine Zusammenfassung der Beiträge der Fortbildungsveranstaltung
von Dr. Ulrich Kuballa:
Das Phänomen des Fremden in der Kunst
"Das nahgerückte Fremde - Kunst und Kultur im Zeichen der Globalisierung"
lautete der Titel der diesjährigen BDK-Weiterbildungsveranstaltung der
Landesverbände Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen (26. bis 28. Mai
in der Fridtjof-Nansen-Akademie Ingelheim). Mit dem Thema verbanden sich Schlagworte
wie Interkulturalität, Globalisierung, Perspektivenwechsel und Hermetik,
Begriffe also, die nicht nur auf die Begegnung mit fremden Kulturen verwiesen,
sondern auch auf die Fremdheit der Kunst für den uneingeweihten Betrachter.
Die zum Teil kontrovers diskutierten Beiträge gingen das Tagungsthema aus
zum Teil überraschenden Positionen heraus an.
Der Einführungsvortrag "Hallo Terry - Das geschlossene System ART
& LANGUAGE und der Fremde" von Prof. Dr. Hubert Sowa (Päd. Hochschule
Ludwigsburg) beleuchtete das Thema des Fremden als Charakteristikum moderner
Kunst. Vom Realismus Courbets, dessen erklärte Ziele in Direktheit, allgemeiner
Einsichtigkeit und unmittelbarer Verständlichkeit bestanden, habe sich
die moderne Kunst im 20. Jahrhundert schrittweise zu einer dem Betrachter unverständlichen
Hermetik gewandelt. Die hieraus resultierende Erkenntnis, dass sich die Kunst
in einem Jahrhundert vom Mittel der bürgerlichen Aufklärung zum Inbegriff
des gesellschaftlich Unverstandenen wandelte, diente der Künstlergruppe
ART & LANGUAGE als Anlass, diese Tendenzen der Moderne in ihrer hermetischen
Erscheinung auf die Spitze zu treiben und zur Basis, ihrer ironischen Kunstproduktion
zu machen.
Der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Jörg Becker ging bei seinen Ausführungen
"Ferne Kunst und Kultur als Verweigerung. Wider das Geschwätz von
der Hybridisierung und über Momente von dissoziativem Widerstand"
von der Voraussetzung aus, dass die auch in der Politik gern verwendete Phrase
"Kunst verbindet" ein Vorurteil sei. Asymmetrien und Hegemonien seien
auch in der Kunst ein Normalzustand. Zwar sei generell der Vorgang der Hybridisierung
(genetisch: Kreuzung zweier erbungleicher Stämme) in der Kunst möglich,
beinhalte aber gleichzeitig die Phänomene einer gewissen Konturlosigkeit
und des Identitätsverlusts, den zwangsläufigen Folgen von Globalisierung
und Integration. Durch eine solche Auflösung von Konturen aber würde
Kommunikation mit Hilfe von Kunst erschwert, denn hierdurch büßt
die Kunst ihre Eigenschaft ein, auf andere einzuwirken. Becker plädierte
in seinem engagierten Vortrag nicht für ein hegemoniales Gegeneinander
in Kunst und Kultur, ebenso wenig für ein hybridisierendes Miteinander,
sondern für ein "Geschehen lassen", eine Begegnung von Kulturen
in eigenen Grenzen, denn, so Becker, "wir brauchen Grenzen, die wir überwinden
können".
"Bilder vom Orient - Die Rezeption des Orients aus europäischer Sicht"
lautete der Vortrag von Prof. Dr. Ludwig Tavernier (Universität Koblenz-Landau).
Er beleuchtete aus kunstgeschichtlicher Sicht den Einfluss des Orients auf die
europäische Kultur, beginnend bei der Übernahme der Schrift in der
Antike über die römische Teilung, die Auseinandersetzung mit dem Islam
im Mittelalter und den regen Austausch der italienischen Handelsstädte
bis hin zum märchenhaften Orientbild der Neuzeit. War bereits von Rembrandt
ein imaginärer, nicht erlebter Orient beschrieben worden, so fand diese
Verzerrung des Orientbildes in der romantischen Verklärung eines Delacroix
und seiner Zeitgenossen ihre Fortsetzung. Der zunehmende Tourismus erhöhte
außerdem die Nachfrage nach Klischee- bzw. Phantasiekunst. Die Kunst förderte
und produzierte also ausschließlich ein europäisiertes Orientbild.
Die ornamentalen Elemente der orientalischen Kunst fanden, anders als z.B. japanische
Einflüsse im 19. Jahrhundert, bis in die heutige Zeit keinen nennenswerten
Niederschlag in der europäischen Kunst. Daher forderte Tavernier mehr Beachtung
kultureller Differenzen in Form von Toleranz unter Gleichen, verbunden mit Respekt
vor der (noch) vorhandenen kulturellen Vielfalt.
Das Phänomen des Nomadischen in der Kunst stand im Mittelpunkt des Vortrags
von Frau Dr. Christina Threuter (Universität Trier): "Willkommen zu
Hause im global village? Ein Beitrag zu künstlerischen Strategien der Häuslichkeit".
Sie spannte einen thematischen Bogen von Max Ernst über die dokumenta-Teilnehmerin
Andrea Zittel bis zu dem Künstlerduo, Eva und Adele. Max Ernst lebte durch
seine Beschäftigung mit dem "Fremden im Eigenen" in einer unauflöslichen
Spannungssituation: einerseits verstand er sich als Nomade, der die Nähe
von Indianern und deren ursprünglichen Lebensweisen sucht, andererseits
war er doch an die westliche Zivilisation und deren Kunstmarkt gebunden. Andrea
Zittel bewältigt das künstlerische Nomadendasein durch die Konzeption
komplexer Fluchtvehikel und mobiler Ateliers, die auf dem Weg in die Freiheit
das heimelige Gewohnte in der feindlichen Fremde bewahren sollen. Eva und Adele
wiederum betrachten das Reisen als ein künstlerisches Mittel zur globalen
Präsenz. Allen gemeinsam ist der Prozess der Bewegung, der nomadisierende
Künstler versteht sich als Gegenpol zum global village.
Dr. Nils Büttner (Universität Dortmund) zeigte in seinem Vortrag:
"Das Fremde im Eigenen - Die Neue Welt' in den Augen ihrer Entdecker",
wie, ein aus dem 16. Jahrhundert stammender Reisebericht eines hessischen Soldaten
nachhaltig das Amerikabild der Alten Welt prägte. Jener Hans Staden gab
seine Erlebnisse als Gefangener von Kannibalen in Form eines illustrierten Buches
heraus, das, wiederholt aufgelegt, nachhaltige Klischees von- amerikanischen
Wilden schuf, wie sie z.B. in Amerika-Darstellungen eines Tiepolo in Deckengemälden
der Würzburger Residenz zu finden sind.
Über "Annäherungen an Literaturen und Kulturen des südlichen
Afrika" berichtete Frau Dr. Gisela Feuerle, indem sie aus ihrer pädagogischen
Praxis in Simbabwe Erfahrungen und Konzepte interkulturellen Lernens vorstellte.
Hierbei verdeutlichte sie das Problem der kulturellen Authentizität der
Bevölkerung in ehemaligen Kolonien. Durch lange Kolonialabhängigkeit,
Stammesvermischungen und kulturellen Eurozentrismus (z.B. durch Tourismus) fällt
die Rückbesinnung auf die eigene Tradition ebenso schwer wie die Entwicklung
von neuen kulturellen Werten.
Frau Dr. Birgit Below erarbeitete mit KollegiatInnen des Oberstufenkollegs Bielefeld
Strukturen und Ausstellungsmechanismen verschiedener europäischer Biennalen.
Hierbei konzentrierte sie sich besonders auf die kulturellen und kunstmarkttypischen
Hintergründe der Teilnehmer. Indem sie mit ihren Schülern unter anderem
nach Berlin und Istanbul reiste, wollte sie vor allem bei nicht deutschen Kollegiatlnnen
eine größere Bereitschaft zur Anteilnahme an kultureller Bildung
erzielen.
Frau Dr. Annette Bhaghwati schließlich informierte über die Arbeit
des Kuratoriums "Haus der
Kulturen der Welt" in Berlin. Diese Einrichtung hat sich die Auflösung
bzw. Selbstauflösung
kulturellen Nischendaseins zum Ziel gesetzt. Mit ihrem Vortrag über die
kulturfördernde Arbeit
des Hauses und die damit verbundenen Schwierigkeiten sowie über die dort
gezeigte
Ausstellung "Heimat Kunst" endete die Vortragsreihe der diesjährigen
Tagung.