30. Ingelheimer Tagung des BDK vom 10. – 12. Mai 2010
Eine Zusammenfassung der Beiträge der Fortbildungsveranstaltung
von Dr. Ulrich Kuballa

Ästhetik/Politik – Politik/Ästhetik

Inwieweit bildet Politik eine Bedingung bzw. eine Aufgabe für Kunst? Und inwiefern dient Kunst als ästhetisches Leitbild und Instrument der Politik? Diese zwei Fragen umrissen den thematischen Kern der diesjährigen Weiterbildungsveranstal­tung des BDK – Fachverband für Kunstpädagogik, im Haus der Fridtjof-Nansen-Akademie in Ingelheim (10. bis 12. Mai 2010).

Nach einer Einführung ins Thema durch Herrn Prof. Peter Schubert, der die Tagung erneut organisiert hatte, lieferte Prof. Dr. Herfried Münkler (Humboldt-Universität Berlin) mit seinem Vortrag „Ästhetisierung der Politik. Herrschaftsstrategie und 'Investment in Culture'“ den Auftakt der Vorträge. Münkler erläuterte in einem systematischen Ansatz sieben Kategorien zur Ästhetisierung von Politik. Sie reichten von bloßem Anschaulich machen (von Macht und Ordnung) über Repräsentation (z.B. der Darstellung von Ordnung in Architektur und Gestaltung des Barock als Spiegel der absolutistischen Ordnung), bis zur Simulation von Handlungsmächtigkeit, wie sie sich etwa zeigt, wenn sich Politiker bei der Besichtigung von Krisengebieten filmen lassen.

Prof. Dr. Thomas Kirchner (Goethe-Universität Frankfurt) erläuterte die zentrale Bedeutung der Galerien an den europäischen Herrscherhöfen. In seinem Beitrag „Vom Erlebnisraum von Geschichte zur Ästhetisierung von Politik. Die französische Galerie im 17. Jahrhundert.“ machte er anschaulich, dass die Galerie des Louvre neben der Prinzenerziehung auch die Aufgabe hatte, Besucher und fremde Diplomaten emotional anzusprechen und – zunächst historisch – zu belehren. Auch sollten fremde Gesandte bereits auf die politische Grundrichtung des Herrschers eingestimmt werden. Dieses Mittel der Belehrung war vor allem in der Gegenreformation wichtig. Vor diesem Hintergrund dominierte zeitweilig die Darstellung großer historischer Themen, vor allem aus der Landesgeschichte. Unter Ludwig XIV. wurden in der Galerie die Leistungen des Staates zu Leistungen des Königs, worin sich der Paradigmen­wechsel vom ständestaatlichen zum absolutistischen Herrschaftskonzept ausdrückte: die Pracht der Galerie spiegelte die Größe des Herrschers wieder.

Von den Problemen künstlerischer Meinungsäußerung in totalitären Systemen handelte der Vortrag von Prof. Dr. Antje Kapust (Ruhr-Universität Bochum) mit dem Titel „Menschenrechte und Bild“. Am Beispiel von Fotografien des slowakischen Künstlers Julius Koller, der seine regimekritischen Ideen nicht offen darstellen konnte, ohne Repressalien fürchten zu müssen, zeigte sie das Entstehen neuer ikonischer Deutungszusammenhänge. Diese neue Ikonografie wurde in eingeweihten Dissidentenkreisen durchaus als systemkritisch verstanden, wegen der starken inhaltlichen Abstraktion bzw. wegen der Verfremdung gängiger Interpretations­schemata lieferten diese Werke aber keine Grundlage für eine Verfolgung oder Bestrafung der Künstler.

Prof. Dr. Martin Warncke (Universität Hamburg), der die Tagung bereits mehrfach mit Fachbeiträgen bereicherte, behandelte mit seinem Vortrag „Kunst und Herrschaft – Etappen der Kunstzensur“ einen zentralen Bereich des Tagungsthemas. Er legte den Schwerpunkt seiner Darstellungen auf den Aspekt der Bildverhinderung und Zensur durch staatliche oder kirchliche Obrigkeiten. Dabei behandelte er die Themen Bildersturm, Inquisition und Formen der Bildzensur, die er an verschiedenen Beispielen illustrierte.

Unter dem Titel „Macht zeigen – Kunst als Herrschaftsstrategie“ spannte Prof. Dr. Wolfgang Ullrich (Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe) den Bogen von dem im 17. Jh. gemalten Porträt des Gewürzhändlers Cornelis van der Geest in seiner Kunstsammlung bis zu den Fotografien von Politikern und Bankvorständen im 20./21. Jh. An den Beispielen wurde das Ringen um die „Vorherrschaft“ offenbar zwischen Auftraggebern, die sich regelrecht „ins rechte Licht rücken“ wollen, und Künstlern, die ihre eigene Vorstellung durchsetzen und ihre künstlerische Autonomie bewahren wollen, was, so zeigten die Beispiele, renommierten Fotografen und Malern mitunter gelingt. Dazu wählen sie raffinierte Vertragsklauseln bei der Übernahme der Aufträge.

Der Tagungsbeitrag von Prof. Dr. Inge Baxmann (Universität Leipzig) „Die Gesinnung ins Schwingen bringen“ behandelte die Kontinuität politischer Ästhetik vom frühen 20. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus. Ausgehend von einem problematischen Verhältnis der Deutschen hinsichtlich jeglicher Form von politischer Ästhetisierung in heutiger Zeit legte sie dar, welche Bedingungen für die enorme Wirksamkeit der politischen Ästhetisierung im Nationalsozialismus ausschlaggebend waren. Hierbei untersuchte sie entsprechende Strategien zur Formung von Massen wie z.B. Mythenbildung, dem Einsatz der neuen Massenmedien und diversen Inszenierungsstrategien, die bereits in den Anfängen des 20. Jh. von ganz unterschiedlichen politischen Gruppierungen genutzt wurden.

Privatdozentin Stefanie Diekmann (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder) schloss mit Ihrem Vortrag „Am falschen Ort - Inszenierung in Theater und Politik“ die Vortragsreihe mit einer Studie: Den Konflikt zwischen Kunst und Politik untersuchte sie an einem Rückblick auf die Debatte um das Projekt „DEUTSCHLAND 2“. Das Theaterkollektiv „Rimini-Protokoll“ plante damals, eine aktuelle Sitzung des Bundestages zeitgleich durch Schauspieler im ehemaligen Plenarsaal des Bundestages in Bonn nachzuspielen. Dazu wählten sich Laienschauspieler jeweils einen Abgeordneten aus, dessen Rolle sie – möglichst wortgetreu – in der nachgespielten Sitzung übernehmen wollten. Das Rimini-Projekt wollte mit dieser Idee nicht, wie z.T. vorgeworfen, die Demokratie als Laientheater vorführen, sondern neue Möglichkeiten des Theaters erproben und das Theater gewissermaßen experimentell ans Volk zurückgeben. Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse aber, selbst ein Freund des „Theaters am rechten Ort“, hatte als Hausherr diese Veranstaltung verhindert, da sie das Ansehen des Deutschen Bundestages beeinträchtigen würde. Daraufhin musste das Projekt im Bonner Schauspielhaus improvisiert werden. Die Wirkung des am falschen Ort aufgeführten Stücks wurde natürlich erheblich beeinträchtigt.

Alle Vorträge erregten bei den Tagungsteilnehmern reges Interesse, zum Teil auch intensiven Meinungsaustausch und Diskussionen. In den Pausen und nach der Veranstaltung gab es auch Möglichkeiten des direkten Gesprächs mit den Referenten, die zum Teil an allen drei Veranstaltungstagen anwesend waren. Die große Breite des Themas und die hohe Qualität der Beiträge machte diese Veranstaltung zu einer wichtigen Fachtagung und einer intensiven Weiterbildungsveranstaltung für Bildende Künstler und Kunsterzieher. Wie immer endete die Veranstaltung mit einer Schlussbetrachtung des Themas und der Aussicht, dass eine vergleichbare Veranstaltung auch im kommenden Jahr wieder stattfinden wird.

Ulrich Kuballa

Alle Fotos: Eberhard Grillparzer, 2010
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Foto-Impressionen sind zu finden unter http://www.blitzbrief.de/ingelheim2010

Der Bericht ist auch im Internet zu finden unter
http://www.blitzbrief.de/bdk-ingelheim-2010.htm

>>> Veranstaltungs-Programm als PDF

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Last update 02.10.2010 13:28