FRIDTJOF-NANSEN-AKADEMIE FÜR POLITISCHE BILDUNG INGELHEIM
im Weiterbildungszentrum Ingelheim
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Fortbildung des BDK vom 17.-19.05.2004 im WBZ Fridtjof-Nansen-Haus
"Kunst und Reinheit"
Eine Zusammenfassung der Beiträge der Fortbildungsveranstaltung von Dr.
Ulrich Kuballa
"Reinheit - Ideologien, Strategien und Phänomene der Ausgrenzung"
- unter diesem Titel startete zum 24. Mal die jährliche BDK-Weiterbildungsveranstaltung
der Landesverbände Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in der Zeit
vom 17. bis 19. Mai in der Fridtjof-Nansen-Akademie Ingelheim. Zentrales Thema
der Veranstaltung war die Betrachtung des Begriffs der "Reinheit"
in der Kunst und damit verbundene Aspekte von einer künstlerischen Leitvorstellung
bis zu Phänomenen der realen Ausgrenzung. Gewohnt facettenreich präsentierten
sich die Vorträge, die, trotz des durch Krankheit bedingten Ausfalls zweier
grundlegender Vorträge, das Thema vielschichtig beleuchteten und auch Stoff
für längere Diskussionen und Gespräche lieferten.
Dr. Nils Büttner (Universität Dortmund) eröffnete die Vortragsrunde
mit einem historischen Rückblick auf das Verständnis von Reinheit
im 16. und 17. Jahrhundert: damals war das Reinigen der Kleidung mit Wasser
zwar verbreitet, die menschlichen Körper der höheren Stände dagegen
wurde durch Puder und Parfüm rein gehalten, in niederen Schichten mied
man das Wasser wohl ebenfalls; öffentliche Bäder, soweit vorhanden,
hatten damals den Ruf von Lasterhöhlen. Gleichzeitig war, vor allem bei
niederländischen Malern, die Tendenz erkennbar, jegliche Art von Verschmutzung
oder Verderbnis von künstlerischen Werken fernzuhalten, während gleichzeitig
Schmutz und Schimmel als Sujet durchaus in deren Bildern zu finden waren. Ein
deutlicher Wandel in dieser künstlerischen Auffassung wird durch einen
Vergleich mit Werken des 20. Jahrhunderts deutlich: gleichsam als Anschlag gegen
Museumsrestauratoren und im Sinne des Herstellens von antimusealer Kunst wird
der Zersetzungsprozess, der Verfall von Kunstwerken vom Künstler selbst
in Kauf genommen, wie etwa in Werken von Joseph Beuys. Er wird noch ironisch
erhöht, z.B. in einem Verschimmelungspostulat Friedensreich Hundertwassers
oder der Verfall in seiner Prozesshaftigkeit wird gar zum eigentlichen Werksinn,
zu einer Ästhetik des Vergehenden erhoben, wie im Hamburger Schimmelmuseum
von Dieter Roth.
Als Beispiel für einen "unreinen Modernen" betrachtete Prof.
Dr. Ulrich Krempel (Direktor des Sprengel-Museums Hannover) der Künstler
Ronald B. Kitai, der offenbar seine "Denk-Bilder zur historischen und gegenwärtigen
Wirklichkeit" mit der Absicht fertigte, sich allen Strömungen der
Modernen Kunst - insbesondere der Pop-Art, welcher er sich einst zuzählte,
den Diasporisten in Großbritannien und dem abstrakten Expressionismus
- sowie den Gepflogenheiten des Kunstmarkts zu verschließen. Seinen hermetischen
Bildern, die oft die Figur des verfolgten Juden Joe Singer in wechselnder Gestalt
und neuen Sinnzusammenhängen erscheinen lassen und historische Elemente
mit autobiographischen kombinieren, gab Kitai eine hermeneutische Lösungshilfe
in Form von selbstverfassten schriftlichen Interpretationshilfen anbei. Damit
setzte er sich erst recht harscher Kritik der Kunstszene aus.
Prof. Dr. Franz-Joachim Verspohl (Friedrich Schiller-Universität Jena)
beschrieb mit seinem Vortrag: "Annibale Carracci und Michelangelo Merisi
da Carravaggio in Rom. Die Kunstdoktrin des Tridentinums und ihre Auswirkung
auf das römische Kunstleben" das Problem zweier rivalisierender Künstlerpersönlichkeiten
mit dem Hang zu autonomen Bildgestaltungen im Umfeld einer vom Vatikan verordneten
Reinheit von Bildern während der Gegenreformation. Beide waren keine Hofkünstler,
sondern Auftragsmaler, deren Kreativität durch die päpstliche Kunstdoktrin
erheblichen Einschränkungen unterworfen war. Dass es ihnen trotzdem gelang,
im geschützten Umfeld einflussreicher Häuser in privaten Auftragsarbeiten
gegen diese Auflagen zu verstoßen, konnte Verspohl in seinem Vortrag an
ausgewählten Beispielen belegen. Hieraus wurde deutlich, dass solche Einschränkungen
durch die Politik des Vatikans in Rom, wo zu Zeiten eines Papstes Julius II.
und eines Michelangelo bereits ein viel liberaleres Umfeld für Künstler
herrschte, selbst unter den Verfechtern der Gegenreformation nur schwer durchzusetzen
waren.
Prof. Dr. Gernot Böhme (TU Darmstadt) lieferte mit seinem Beitrag "Geschmack
und Distinktion. Über die gesellschaftliche Funktion von Ästhetik"
einen Abriss über die Entwicklung der Ästhetik seit der Phase der
Aufklärung. So stellte sich bereits zu Zeiten Immanuel Kants die Frage,
ob denn Ästhetik überhaupt eine Frage der Natur oder der Kunst sei?
In diesem Zusammenhang stellte sich auch die Frage nach dem Geschmack, der als
soziale Kompetenz verstanden wurde, als Mitteilungskompetenz, die es ermöglicht,
den anderen am eigenen Fühlen teilhaben zu lassen; was freilich mit elitärem
Dünkel einherging und zu einem Mittel einer ethnischen wie auch einer ständischen
Abgrenzung wurde. Theodor Adorno hingegen lehnte den Begriff der Geschmacksästhetik
ab, für ihn war Kunst eine Sache künstlerischer Eliten. Wer hier nicht
hinzugehörte, beschäftigte sich bestenfalls mit Massenkultur, quasi
niederer oder erniedrigter Kultur, die durch die Kulturindustrie produziert
und permutiert wurde. Die Kulturindustrie, von Fürsprechern der Massenkultur
wie Walter Benjamin ausdrücklich begrüßt, weil sie einen Umgang
mit einer Kunst zuließ, die jeden betrifft und auch erreicht (wie etwa
die Unterhaltungsmusik), verzeichnete dann als Massenphänomen, als "Markt",
eine kapitalistische Inanspruchnahme. Musik, um beim Beispiel zu bleiben, wird
zur Ware, zum Kulturgut, dessen Gebrauchswert im Marxschen Sinne vom Tauschwert
ursurpiert wird, Der Konzertbesuch dient also nicht dem Kunstgenuss sondern
wird zum Ausdruck des gesellschaftlichen Status. Da einzig in der Kunst aber
gesellschaftliche Gegensätze ausgetragen werden, muss man sie, so Böhme,
gegen die Kulturindustrie verteidigen.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete der Vortrag "Schlitze, Schmutz
und Flecken. Ruinenästhetik in Kunst und Mode - ein gesellschaftliches
Symptom." von Frau Prof. Dr. Monika Wagner (Universität Hamburg).
Sie lieferte einen regelrecht "globalen" Überblick über
aktuelle Gestaltungswege und Prinzipien im Zusammenhang mit Löchern, Schlitzen
und Ruinenästhetik in der zeitgenössischen Kunst. Merkmale der Unreinheit
bei Vivian Westwood, reale Löcher im Leinenpatchwork Alberto Burris, Tendenzen
der Ergründung einer Tiefendimension im flachen Bildraum wie bei den geschlitzten
Leinwänden Lucio Fontanas, Michelangelo Pistolettos "Lumpenvenus"
als Beispiel der arte povera oder die ästhetische Wahrnehmung eines simulierten
Alterungsprozesses oder echter Patina bei Shozo Shumamoto - diese Ausprägungen
einer "Ruinenästhetik" im weiteren Sinne wurden anschaulich dargestellt
und gegeneinander abgegrenzt. Darüber hinaus verwies Wagner auf eine Übernahme
der künstlerischen Gestaltungsmittel durch Design, Architektur und Mode
und damit auf eine Vereinnahmung durch die Kulturindustrie. Dies geschah, wie
eine Modekollektion Fontanas zeigt, z.T. sogar unter Beteiligung der Künstler.
Die Inszenierungen des Schmutzigen und Kaputten, man denke an verschiedene Jeans-Collektionen
aber auch an Schrottplastiken in noblen Empfangshallen, dienen dem Erwerb eines
edlen Stücks von Vergangenheit, der Selbstinszenierung oder der nostalgischen
Reinszenierung des Schmutzes in einer Zeit, da der Schmutz längst überwunden
und nicht mehr standesgemäß ist.
Wenngleich sich der Veranstaltungsgegenstand um die Frage des "Rein oder
nicht rein?" drehte, stellte sich gleichzeitig auch die Frage um "Sein
oder nicht sein" der gesamten Tagung: die traditionsreiche Weiterbildung
wurde seit Jahren wegen ihrer politisch und gesellschaftlich relevanten Inhalte
von der Bundeszentrale für politische Bildung bezuschusst. In diesem Jahr
blieb eine Zusage der Bezuschussung erstmalig aus, so dass die Landesverbände
sich plötzlich mit einer finanziellen Mehrbelastung konfrontiert sahen,
die sie für die angekündigte Veranstaltung zwar übernahmen, die
aber dauerhaft aus Verbandsmitteln nicht zu leisten ist. Die Fragen also, ob
es zum 25-jährigen "Jubiläum" im kommenden Jahr diese Weiterbildung
in Ingelheim noch geben wird, welche Dauer und welche ggf. neue Form sie bekommen
wird, sind zur Stunde noch offen.
Dr. Ulrich Kuballa
bdk-ingelheim-2004.htm